Ein vergessenes Gefühl: wie Kinder mit Reiswaffeln Hunger verlernen

Reiswaffeln sind gerade unter Müttern ein beliebter Snack. Kein schlechtes Gewissen nagt, wenn man die Puffreis-Bierdeckel unterwegs an den quengelnden Nachwuchs verteilt. Denn die Fladen schmecken nicht nur nach Pappe, sondern haben in etwa auch denselben Nährwert: Sie sind zuckerfrei, fett- und kalorienarm.

Derweil nehmen die Kleinen das Angebot begierig an. Wo man auch hinblickt – jeder Kindersitz, jeder Buggy und jedes Sabbertuch ist heutzutage übersät mit weißen Krümeln; alles, was greifen kann, hat die „Pappe zum Knabbern“ im feuchten Patschehändchen.

Feed the Sam

In einem Erfahrungsbericht, der in der Zeitschrift „Eltern“ veröffentlicht wurde, beobachtet die Autorin diese Entwicklung mit Sorge. Sie fragt sich, ob den Kindern mit dem Dauermampfen von Reiswaffeln, Brezeln, Dinkelkeksen & Co. nicht eine ganz wichtige Erfahrung verloren gehe: Hunger.

Greta Mitterweiß meint damit nicht das Elend, das man von den Bildern hungernder Kinder in Afrika kennt oder von dem die Kriegsgeneration noch berichtete. Mitterweiß meint schlicht das Gefühl, das sich einstellt, wenn der Magen leer ist, die Verdauungssäfte ihre Arbeit verrichtet haben und der Körper meldet, dass sein Energievorrat aufgebraucht ist.

Reiswaffel II

Die Autorin erinnert sich an ihre eigene Kindheit. Damals hätte es unterwegs durchaus ebenfalls etwas zu essen gegeben. Das seien aber Brote gewesen, die man sich geschmiert und mitgenommen habe, wenn lange Autofahrten angestanden hätten: „Ab drei Stunden aufwärts.“ Diese Brote seien gegen den Hunger gewesen, nicht gegen den Appetit. Und man habe sie mit dem größten Genuss verzehrt, auch mit wellig-angelaufenen Wursträndern und weggeschmolzener Butter. Wer wirklich hungrig ist, für den wird eben selbst die einfachste Speise zum Gaumenschmaus. Kein Gejammer, weil die Reiswaffel zerbrochen, die Brezel ohne Butter oder der Dinkelkeks ohne Tiermuster ist.

„Menschen um die 30 erinnern sich vielleicht noch dran: Hunger, das ist dieses Grummeln nach drei Stunden im Schwimmbad, nach einem Nachmittag Baumhausbau, einem Fahrradausflug. Menschen dieser Generation wurden ohne Lunchpaket in solche Abenteuer geschickt“, schreibt Mitterweiß.

Not yet two...

In der heutigen Zeit bekomme man hingegen den Eindruck, dass es an Kindesmisshandlung grenze, die lieben Kleinen nur für ein paar Minuten „der Unbehaglichkeit eines kleinen Appetits“ auszuliefern. Selbst wenn man nicht zu derjenigen Kategorie Eltern gehört, die standardmäßig mit Karottensticks und Früchtetee ausgestattet sind, kann man sich der Dauerbefütterung kaum entziehen. Rundumher klappen sofort die Vorratsdosen auf, wird angeboten, verteilt und nachgereicht: „Ein steter Strom an Kalorien fließt aus den mütterlichen oder väterlichen Rucksäcken, damit es den Kleinen an nichts fehlt.“

Baby Mum-Mum

Doch Greta Mitterweiß' Kommentar ist keineswegs nur eine sentimentale Anrufung der „guten alten Zeit“. Es geht ihr nicht nur um ein bisschen Selbstdisziplin und Entsagung. Das wirkliche Hungergefühl gehört auch zu einer gesunden Ernährung und Ess-Erziehung!

Seit vielen Jahrzehnten empfehlen Ernährungswissenschaftler und Kinderärzte drei größere Mahlzeiten pro Tag sowie zwei kleine Zwischenmahlzeiten – wobei mit Zwischenmahlzeiten etwas Obst, Rohgemüse oder ein Joghurt gemeint sind. Dazwischen – so die Gesundheitsexperten – sollten aber stets zwei bis drei Stunden folgen, in denen nichts gegessen wird. Gar nichts. Null. Im Prinzip ist das wie Intervallfasten auf niedriger Stufe. Nur so kann die Verdauung ordentlich arbeiten und sich ein regelmäßiger Essensrhythmus etablieren. Wenn es erst in einer halben Stunde Essen gibt, muss das Kind eben so lange ausharren.

Kithcen Help

Wer nicht im Kindesalter lernt, dass Hunger etwas anderes ist als Appetit, wer seinen Insulinspiegel immerzu auf Habachtstellung hält, der wird auch in späteren Jahren größere Probleme haben, sein Gewicht natürlich zu halten. Wissenschaftler stellen schon seit einiger Zeit einen Trend zu krankhaftem Übergewicht auf der einen und extremen Diäten auf der anderen Seite fest. Vielleicht wäre dem – wie Greta Mitterweiß glaubt – ja schon geholfen, wenn man Kinder nicht bei jeder Gelegenheit mit Reiswaffeln ruhigstellen würde?

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Kindererziehung ist immer auch ein Spiegel der Zeit. Warum die US-amerikanische „Super Nanny“ Emma Jenner jedoch davon überzeugt ist, dass die heutige Erziehung versagen wird, erfährst du in diesem Beitrag.

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